Rückblicke
Die Geschichte der Straßenbahnen in Text und Bild
Die Geschichte der Straßenbahnen in Text und Bild
Die vielen verschiedenen Bauarten von Strassenbahnwagen in Europa und ganz besonders in Deutschland war für die einzelnen Betriebe naturgemäss eine grosse Belastung in bezug auf die Wartung und Ersatzteilhaltung.
Den Auftakt zu einer Neuorientierung der Strassenbahnwagenerzeugung gab die im Jahr 1938 durchgeführte „Düsseldorfer Wagenschau“, bei der die wagenbauliche Vielfalt deutscher Strassenbahnen unmittelbar sichtbar wurde.
Die grossen Erfolge, die mit der Vereinheitlichung des Strassenbahnsektors in den USA mit dem Bau der PCC-Strassenbahnwagen erzielt worden waren, gaben den weiteren Anstoss, auch in Deutschland eine „Einheitsstrassenbahn“ zu konstruieren.
Die Arbeiten, die bald von den Fachausschüssen der „Reichsverkehrsgruppe Schienenbahnen“ gemeinsam mit der deutschen Fahrzeug- und Elektroindustrie sowie den Verkehrsbetrieben begonnen worden waren, führten zur gemeinschaftlich erarbeiteten Konzeption eines „Deutschen Einheitswagens“, der in zwei-, drei- und vierachsiger Version für die gängigen Spurweiten (Normalspur und Meterspur) hergestellt werden sollte. Als genaue Bezeichnung für den Einheitsstrassenbahnwagen „ESW“ war das Kürzel ET / EB für Trieb- oder Beiwagen, für die Achsanzahl 2, 3 und 4 sowie für die Spurweite r (Regel- (Normal-) spur) und m (Meterspur) vorgesehen. Ein zweiachsiger Normalspurtriebwagen sollte also zum Beispiel die Bezeichnung „ET2r“ führen.
Aufgrund des Kriegsausbruches im September 1939 kam es jedoch nicht mehr zum Bau dieses „ESW“, nur einige ESW-ähnliche Wagen für Nürnberg und Bochum-Gelsenkirchen wurden noch hergestellt.
Da die Ausstattung des ESW für die nun kommenden, schlechten Zeiten mit zunehmenden Werkstoffbeschaffungsschwierigkeiten zu aufwändig war, wurde aus dem vorhandenen Konzept eine im mechanischen Teil wesentlich vereinfachte Konstruktion geschaffen.
Diese neue Konstruktion erhielt aufgrund der nunmehrigen Verhältnisse den Namen „Kriegsstrassenbahnwagen“ („KSW“), sie zeichnete sich durch leichtes Gewicht, grosses Fassungsvermögen und auch durch eine günstige technische Wartung aufgrund der Ersatzteil-Vereinheitlichung aus.
Nach der Inbetriebnahme des „Ur-KSW“, des heute noch existierenden (Museums)-Wagens 7 der Woltersdorfer Strassenbahn, der vor der Ablieferung versuchsweise als Triebwagen 6221 auf der Berliner Strassenbahn eingesetzt war, wurden ab Frühjahr 1944 die ersten Serien an verschiedene deutsche Städte wie zum Beispiel Köln, Duisburg und München geliefert.
Als echte „Kriegskinder“ hatten die KSW alle Zutaten für die Luftschutzverdunkelung eingebaut: Neben den normalen Scheinwerfern und Schlusslichtern hatten die Wagen auch unter einem Blechvorsprung „getarnte“ weisse und rote Stirnlampen. Ebenso waren die Lichtserien im Wageninneren in helle und „verdunkelte“ Lampen unterteilt.
Der KSW wurde sogar bis zum Wiedereintreten von stabilen Wirtschaftsverhältnissen weitergebaut, da die Material-, Arbeits- und Betriebsschwierigkeiten auch nach erfolgter Waffenruhe keine Erleichterung erfuhren. Im Zeitraum von 1944 bis 1949 wurden somit insgesamt 667 Wagen hergestellt, wobei 410 Beiwagen von der Uerdinger Waggonfabrik und 257 Triebwagen von der Waggonfabrik Fuchs in Heidelberg gebaut wurden. Die einzige „Konstruktionsänderung“ im Laufe der Jahre war die Abänderung des Sitzplatzangebotes von ursprünglich bescheidenen 12 Sitzen auf 16 Plätze.
Bedingt durch den kriegsbedingten Mangel an elektrischen Ausrüstungen konnten aber die Wagen – besonders die Triebwagen – von den Verkehrsbetrieben oft lange nicht eingesetzt werden, sondern sie standen fabriksneu in den Wagenhallen herum. Eine Besonderheit war auch die fabriksmässige Lackierung: Im Rahmen der Vereinheitlichung wurden die Fahrzeuge nämlich nicht in den Farben der jeweiligen Verkehrsbetriebe lackiert, sondern sie erhielten einen einheitlichen, grau-braunen Schutzanstrich.
Die grosse Verbreitung des „KSW“ führte dazu, dass einige Wagenserien auch in vom „Deutschen Reich“ annektierte Gebiete (Österreich, Polen) geliefert wurden. In Polen wurden die KSW nach Originalplänen sogar noch viele Jahre nach dem Krieg für polnische Städte nachgebaut. Trotzdem die KSW nur für eine Einsatzdauer von etwa zehn Jahren vorgesehen waren, standen sie bei vielen Betrieben – so auch in Wien – etwa 30 Jahre in Betrieb.
Den „Wiener Verkehrsbetrieben“ wurden im Herbst 1944 vom „Reichsverkehrsministerium“ 30 Kriegsstraßenbahntriebwagen mit den Zählnummern 35 – 64 zugeteilt. Die Wagen erhielten in Wien die Typenbezeichnung „A“ und die Betriebsnummern 1 bis 30. Wegen ihrer Herkunft wurden diese Triebwagen in Wien immer „Heidelberger“ genannt.
Die Type „A“ war die erste Wiener Wagenserie mit Stahlaufbau. Da die KSW ohne elektrische Ausrüstung geliefert worden waren, konnten die ersten Wagen (10, 15, 18, 19, 21, 28, 30) erst nach Kriegsende – ab 11. November 1945 – in Betrieb genommen werden, wobei die Lackierung erst ab 1949 in das in Wien übliche Weiß/Rot geändert wurde (erster Wagen: Nr. 20).
Die Wagen wurden mit unterschiedlichen Stromabnehmern ausgestattet. Einige Wagen fuhren anfänglich mit Lyrabügeln, andere bekamen Scherenbügel in verschiedenen Ausführungen. Letztlich waren alle 30 A-Triebwagen mit dem Einheitsstromabnehmer SS46 ausgestattet.
Die Arbeitsweise der damaligen Schienenbremsanlage in den KSW funktionierte derart, dass die Schienenbremsmagnete beim normalen Bremsen vom generatorischen Motorbremsstrom miterregt wurden. Auf der letzten, gefederten Bremsstufe wurden die Schienenbremsmagneten dann im Sinne einer Feststellbremse aus der Fahrleitung gespeist. Diese Anordnung änderte man ab dem Jahr 1954 in der Form, dass die Schienenbremse nur mehr mit einem eigenen Schalter aus der Fahrleitung gespeist werden konnte. Sie diente fortan nur mehr als Unterstützung bei Notbremsungen.
Eine Besonderheit war auch die Handbremse, bei der das Bremsgestänge (Scheibenbremsen) nicht wie üblich mittels einer Kette, sondern über Zahnstage und Zahnrad bedient wurde. Weiters hatten die KSW – so wie die ebenfalls im Jahr 1944 gelieferten G4-Triebwagen – den damaligen Gepflogenheiten entsprechend keine Prellschiene, sondern einen „Kletterschutz“ („anti-climb“) an den Brustwänden montiert.
Alle Wiener KSW waren fast ausschließlich auf den Linien über die Mariahilfer Straße (52, 58 und 59) im Betrieb, aber es gab auch ausnahmsweise Einsätze auf den Linien 158 und 60.
In der fast 30-jährigen Betriebsgeschichte der Wiener KSW ist nur ein folgenschwerer Unfall mit drei Toten und 26 Schwerverletzten erwähnenswert, als der Triebwagen 5 mit den Beiwagen k2 3350 + 3393 am 3. Jänner 1947 wegen einer gebrochenen Motorankerwelle (Motortype WD 571) auf der abschüssigen Mariahilfer Strasse bei der Rahlgasse auf den in der Haltestelle stehenden Vorderzug G4 311 + m3 5429 auffuhr.
Technische Daten:
Gesamtlänge: 11,3 m
Radstand: 3,0 m
Gewicht: 10,6 t
Fahrschalter: Nockenfahrschalter „OR 8“ mit 13 Serien-, 10 Parallel- und 15 Bremsstufen.
Antrieb:
Zwei Tatzlagermotoren á ca. 60 kW.
Bremseinrichtungen: Handbremse auf Bremsscheiben wirkend, Kurzschlußbremse, Magnetschienenbremse.
Etwa ab dem Jahr 1950 wurde die „KSW“-Konstruktion nach den Richtlinien des „Verbandes öffentlicher Verkehrsbetriebe (VÖV) in Deutschland vorerst vom „Verbandstyp“ abgelöst. In Österreich wurden viele Konstruktionsmerkmale des KSW in die etwa zeitgleich mit dem Verbandstyp entstandenen Grazer (Tw 201-250 / Bw 401-450), Linzer (Tw 1-39 / Bw 101-126) und Wiener Fahrzeuge (Typen B / b) verwendet.
Heute gibt es in Österreich noch die Wagen:
2: Exponat im Verkehrsmuseum Remise (VEF).
10: Exponat im Tramwaymuseum Graz (TMG).
11: Dieser (Miet-)Wagen ist grundlos mit der unrichtigen Nummer „1“ bezeichnet (WTM).
25: Exponat im Verkehrsmuseum Remise (WTM).
Die Wiener Museums-KSW:
Der Triebwagen Nr. 2 präsentiert sich seit 1988 wieder in dem Zustand, in dem er ab 1946 in Betrieb genommen worden war. Er stand, ab 1950 weiß/rot lackiert, bis zum 17. Oktober 1975 – dem letzten Tag der KSW in Wien – in Betrieb. Für das Museum wurde der Wagen im Jahr 1989 wieder in den Originalzustand versetzt. Antrieb: Zwei Tatzlagermotoren á 60 kW (Type „WD 641“).
Der Triebwagen Nr. 25 zeigt gegenüber dem Wagen 2 die weitere Entwicklung der Kriegsstraßenbahnwagen in Wien. Dieser Wagen wurde erst im Jahr 1949 komplettiert und im Linienbetrieb eingesetzt. Als erster Wiener Straßenbahnwagen bekam er versuchsweise das bis zur Type E1 montierte „Zweisicht-Dachsignal“ für die Linienbezeichnung. Im Jahr 1956 wurden noch die alten Licht- und Bremsstromsteckdosen gegen mehrpolige Elin-Kupplungsdosen getauscht. Ausscheidung des A 25 war am 30. Dezember 1972. Antrieb: Zwei Tatzlagermotoren á 61 kW (Type „EMa 60/600“).