Rückblicke
Die Geschichte der Straßenbahnen in Text und Bild
Die Geschichte der Straßenbahnen in Text und Bild
In meiner Kinder- und Jugendzeit nach dem Zweiten Weltkrieg – also in den 1950er- und 1960er-Jahren – war es den meisten Familien nicht möglich, größere oder gar kostspielige „Reisen“ an den Wochenenden zu unternehmen. Es reichte höchstens für einen Ausflug in die nähere Umgebung und natürlich nur mit der Straßenbahn.
Daß mir (und meinen Leidenskollegen) diese „Ausflüge“ nicht sehr willkommen waren, kann man sicher verstehen, denn mit Mama und Papa wandern……na, ja!
Ein derart im Raum stehender Wochenendspaziergang wurde nur dann aufgewertet, wenn eine Fahrt mit der Linie 60 in Aussicht stand.
Da fuhr man mit der komplett roten Stadtbahn bis nach Hietzing und dann gab es die freudige Besonderheit, daß auf der Straßenbahnlinie 60 ebenfalls komplett rot lackierte Wagen fuhren. Natürlich handelte es sich auch hier um Stadtbahnwagen, die allerdings für den Straßenbahnbetrieb adaptiert waren.
Da man im Jahr 1924 bei der Bestellung von Fahrzeugen für die aus der dampfbetriebenen Stadtbahn umgebauten „Wiener Elektrischen Stadtbahn“ nicht genau wissen konnte, ob sich die Stadtbahn „top“ oder „flop“ entwickeln würde, hatte man sicherheitshalber eine gewisse „Reserve“ eingeplant. Und obwohl die Stadtbahn von den Wienern „top“ angenommen wurde, war aber trotzdem ein kleiner Fahrzeug-Überbestand vorhanden.
20 dieser überzähligen Züge übergab man ab 20. Oktober 1932 an den Straßenbahnbetrieb und bald folgten noch sechs Garnituren nach. Die Züge wurden dem Bahnhof Speising zugeteilt. Da diese Stadtbahnzüge die ersten „großen“ Dreiwagenzüge auf der Wiener Straßenbahn waren und die Linie 60 insbesonders an Wochenenden einen starken Ausflugsverkehr zu bewältigen hatte, wurden die „Stadtbahner“ eben auf der Linie 60 eingesetzt.
Da die Stadtbahn mit 750 Volt, die Straßenbahn aber mit nur 600 Volt betrieben wurde, konnte die Fahrgeschwindigkeit der Stadtbahntriebwagen speziell auf den langen Steigungen über die Feldkellergasse und den Rosenhügel nicht überzeugen. Als technischen Trick baute man daher in jeden Triebwagen ein altes Beiwagen-Bremssolenoid als Feldschwächung („Shunt“) in den Motorfeld-Stromkreis ein. Durch diese Maßnahme wurden die Stadtbahnwagen zwar keine „Sprinter“, aber die Fahrgeschwindigkeit war nun ausreichend.
Die Wagen behielten ihre ursprüngliche Typenbezeichnung („N“ und „n1„), zwecks besserer Unterscheidung zu den „echten“ Stadtbahnwagen bezeichnete man die Fahrzeuge aber inoffiziell mit „N (60)“ und n1 (60). Warum die Fahrzeuge auch im Straßenbahnbetrieb ihren vollkommen roten Anstrich behielten, ist eines der vielen Wiener „Tramway-Rätsel“.
Da die Stadtbahnwagen der Linie 60 ausschließlich Druckluftbremsen hatten (ursprünglich „Kunze-Knorr“, später „Hardy“) und daher keine elektrische Bremsleitung zu den Beiwagen geführt war, montierte man auch anstatt der sonst zur Stromversorgung für Licht und Heizung zwischen den Wagen üblichen elektrischen Kabelleitung ab dem Jahr 1935 Rutenkupplungen an den Dächern. Diese nach Schweizer Vorbild hergestellten elektrischen Rutenverbindungen wurden in Wien „Züricher Lichtkupplung“ genannt.
Zum Verbinden und Trennen dieser Kupplungen waren Leinen an den Ruten angebracht. Wenn nun eine dieser Leinen gerissen wäre, so konnte die jeweilige Rute mit der Weichenkrücke des Triebwagens abgehoben werden – und aus diesem Grund (extreme Elektrisierungsgefahr!) waren die Weichenkrücken der 60er-Stadtbahntriebwagen immer aus Holz anstatt aus Eisen!
Im Laufe der Jahre wurden an den Wagen geringfügige Verbesserungen (moderne Scheinwerfer, Decklichter, Doppel-Frontscheiben, pneumatische Scheibenwischer etc.) vorgenommen.
Ab Mitte der 1960er-Jahre wurden die „roten“ 60er aber immer mehr durch „normale“ Straßenbahnwagen ersetzt, bis sie am 14. Juni 1968 ihren letzten Betriebstag hatten. Und nach dem Ausscheiden der „N (60) – n1 (60) – n1 (60)“ gab es im Wiener Straßenbahnbetrieb bis 1969 nur noch die „Amerikaner“ Type Z, die keine Schienenbremsen hatten.
Im Wiener Straßenbahnmuseum befand sich ein betriebsbereiter N60-Zug (N 2714 – n1 5814 – n1 5786), mit dem ich öfters Sonderfahrten – einmal sogar nach Baden – und Museums-Rundfahrten durchgeführt hatte.
Nachdem die Fahrzeuge im „Verkehrsmuseum Remise“ nun nicht mehr fahrtauglich erhalten werden, ist eine Begegnung mit einem solch prächtigen Zug in „freier Wildbahn“ wohl nicht mehr möglich!